Musste das wirklich sein? 29,4 Millionen für den Stadionausbau

Am 2. Juli hat der Rat der Stadt Essen den Ausbau des Stadions „An der Hafenstraße“ beschlossen, ein Projekt, das laut Planung rund 29,4 Millionen Euro kosten wird. Die GVE Grundstücksverwaltung und der Verein Rot-Weiss Essen (RWE) haben sich zuvor auf einen neuen Pachtvertrag verständigt, der als Grundlage für die Investition dient. Geplant sind unter anderem der Ausbau der vier Stadionecken, ein Windfang, technische Verbesserungen sowie ein multifunktionales Gebäude für soziale Fanarbeit. Auch barrierefreie Fahrradabstellanlagen sind angedacht – ein Fahrradparkhaus wird es nicht geben.
Wirklich nötig – oder nur ein Symbolprojekt?
Dass Fußball Emotionen weckt und RWE wie SGS Essen eine große Fangemeinschaft hinter sich vereinen, ist unbestritten. Auch wir bei Volt sehen die gesellschaftliche Rolle des Sports – nicht zuletzt durch Projekte wie das AWO-Fanprojekt, das wichtige antirassistische und integrative Arbeit leistet. Aber: Muss eine Stadt wie Essen, die an vielen Stellen um jeden Euro ringt, ein Stadionprojekt in dieser Größenordnung wirklich priorisieren?
Wir sagen: Es wäre an der Zeit, über Alternativen zu sprechen.
Was hätte man mit dem Geld sonst erreichen können?
Florian Stange bringt es auf den Punkt: Mit über 29 Millionen Euro ließen sich viele kleine und große Vorhaben finanzieren, die breiter wirken – zum Beispiel:
Sanierungen von Schulen und Turnhallen
Unterstützung des Breitensports in allen Stadtteilen
Förderung lokaler Stadtteilprojekte
Ausbau der Radinfrastruktur – nicht nur ums Stadion herum
Engin Cramer schlägt vor, endlich Einkaufsmöglichkeiten für Stadtteile wie Vogelheim zu schaffen. Ein mobiler Laden könnte dort tagtäglich Grundversorgung sicherstellen – klimafreundlich, bedarfsgerecht, sozial.
Rebekka Höch wiederum erinnert an das soziale Gefälle in der Stadt: Während im Norden Menschen mit Armut, Bildungsmangel und schlechter Infrastruktur leben, fließen hier Millionen in ein Stadion. Ihre Forderung: Das Geld lieber in Bildung, Jugendhilfe, Sozialarbeit und den Abbau von Ungleichheit investieren – statt in Beton und Prestige.
Unser Volt-Wahlprogramm sagt klar:
„Lebensqualität ist kein Prestigeprojekt. Sie zeigt sich im gepflegten Platz, in der schattigen Bank, in der sauberen Straße. Und sie beginnt dort, wo Politik zuhört – im Stadtteil.“
– aus dem Kapitel Stadtteile stärkenDer richtige Umgang mit…
Oder auch:
„Volt steht für eine gemeinwohlorientierte Stadt, die nicht nur auf Wachstum setzt, sondern auf Zusammenhalt.“
– aus dem Kapitel Wohnen, soziale Stadt und GemeinwohlDer richtige Umgang mit…
Der Stadionausbau mag ein Impuls für die Sportstadt Essen sein – aber er ist auch ein Beispiel dafür, wie politische Prioritäten gesetzt werden. Für viele fühlt es sich an wie ein Symbol der Unverhältnismäßigkeit: Während Toiletten in Parks fehlen, Radwege abrupt enden und viele Schulen seit Jahren sanierungsbedürftig sind, investiert man in Stehplätze und Stadionkanten.
Handlungsempfehlungen statt Abwehrhaltung
Wir fordern keine Rückabwicklung, aber eine ehrliche Bewertung der Entscheidungen:
Förderung sozialer Projekte rund um den Fußball: Das AWO-Fanprojekt muss gesichert und ausgebaut werden – gerade, weil die Fanszene von RWE zuletzt auch durch rassistische und sexistische Vorfälle negativ aufgefallen ist.
Verkehrsplanung ums Stadion: Mehr als Fahrradständer braucht es ein ganzheitliches Mobilitätskonzept. Wer jetzt im Stau steht, wird auch nach dem Ausbau nicht plötzlich radeln.
Finanzielle Transparenz: Welche Posten verteuern das Projekt? Wie sind die Folge- und Betriebskosten geplant? Wir brauchen nachvollziehbare Zahlen, nicht nur Pläne.
Und jetzt?
Der Rat hat entschieden. Doch wir fragen uns – und euch:
Musste das in diesem Umfang wirklich sein?
Oder hätte Essen mit denselben Mitteln an vielen anderen Stellen viel mehr bewegen können?
Rückblick: Was hat der 2012er-Neubau gekostet und was blieb hängen?
Das aktuelle Stadion an der Hafenstraße wurde zwischen 2011 und 2012 für etwa 64 Millionen Euro errichtet: ca. 49,5 Mio. für Baukosten, 11,6 Mio. für Planung sowie 2,9 Mio. „sonstige Kosten“. Ursprünglich waren nur 31 Mio. vorgesehen, was eine massive Kostensteigerung bedeutete. Für den laufenden Betrieb subventionierte die Stadt Essen das Stadion 2016 mit jährlich rund 1,5 Mio. Euro.
Was blieb hängen?
Eine hochmoderne Arena mit knapp 20.650 Plätzen (Stadion eröffnet August 2012)
Photovoltaik-Elemente, LED-Anzeigen, moderne Sanitäranlagen, VIP-Logen, Fankiosk, AWO-Fanprojekt-Standort und Containerlösung bei Wasserschäden
Aus dem Abriss des Georg-Melches-Stadions entstand ein Parkplatz, dabei ging viel Tradition verloren, aber das neue Gebäude bietet bessere Grundlagen für moderne Veranstaltungen (Konzerte, Frauen-Fußball, GFL Bowl).
Der aktuelle Ausbau: bringt er Mehrwert – oder verdrängt er andere Prioritäten?
Der aktuelle Ausbau summiert sich auf rund 29,4 Mio. Euro brutto, effektiv ca. 24,7 Mio. Euro, da 4,7 Mio. MwSt. absetzbar ist. WAZ nennt 27,4 Mio. Ziel ist eine Erweiterung auf rund 26.600 Plätze, bessere Akustik, moderne Technik, ein Fanarbeits-Gebäude, Fahrrad-Abstellanlagen und ein Windfang.
Es bleibt die Frage: Was wäre, wenn Volt bereits im Stadtrat säße?
Vision 2026: Volt im Rat, wo hingeht die Reise?
1. Priorität für Gemeinwohl statt Prestige
Der Ausbau mit 25–30 Mio. Euro würde gesplittet:
10 Mio. für Schul- und Turnhallensanierungen (analog zur Vorschlag von Florian Stange)
5 Mio. für Jugend- und Stadtteilprojekte, inkl. sozial-pädagogischer Förderung und Spielplätze
5 Mio. für Infrastruktur (Radwege, Busanbindung, Einkaufs-Lösungen wie mobiler Laden in Vogelheim)
5 Mio. für gezielte Sportförderung in Stadtteilen, inkl. Breitensport
Übrig €5 Mio. für einen “Socio-Sports-Hub”: multifunktionale Räume rund um den Sport, die gezielt soziale Fanarbeit, interkulturelle Events und Anti-Diskriminierungsworkshops ermöglichen.
2. Nachhaltige Mobilität statt isolierter Fahrradständer
Wir setzen nicht auf teure Fahrradparkhäuser, sondern auf ein Netzwerk:
Sichere, ebenerdige Stellplätze + Lastenrad-Verleih
Bike-and-Ride-Konzepte gekoppelt mit ÖPNV für Heimspiele
Lückenlose Fahrradstraßen – insbesondere in Bereichen wie Kray – verbessern den täglichen Verkehr, nicht nur den Stadionzulauf
3. Soziale Fanarbeit mit echten Konsequenzen
Ausbau des AWO-Fanprojekts:
Antirassistische, präventive Programme werden stärker gefördert, als Reaktion auf negative Vorfälle in der Szene
Das geplante, zentrale Fanarbeits-Gebäude kann als Basis dienen, nicht als Einzelprojekt
Kooperation mit Schulen: Programme wie „Fußball gegen Ausgrenzung“ in der Region, unterstützt durch das Stadion
4. Nachhaltigkeit und Bürgerklarheit
Volle Transparenz bei Budget und Betriebskosten
Kontinuierliche Bürgerbeteiligung via „Stadtteil-Budget“
Öffentliches Monitoring von Fortschritt, Kosten und Impact
Unser Gedanke zum Abschluss
Billigt man den Ausbau, sollte er mehr sein als Stein und Stahl, ein Katalysator für soziale und ökologische Entwicklung, nicht ein Prestigeprojekt auf Kosten notwendiger städtischer Infrastruktur.
Stellt euch vor: Volt im Rat würde keinen Rohrkrepierer bauen, sondern ein Modellprojekt, ein Stadion, das nicht abgekoppelt von der Stadt funktioniert, sondern mit ihr verwoben ist: Schulen, Straßen, Sport im Quartier, nachhaltige Mobilität.
Also die offene Frage bleibt:
War der jetzige Ausbau wirklich nötig oder hätten wir mit dieser Summe anders, vielleicht wirksamer, investieren können?
Entscheidung gefallen und die Debatte beginnt?
Der Ratsbeschluss steht. Klar: Wir können ihn nicht mehr ändern, wir sitzen (noch) nicht im Rat, um bei so weitreichenden Investitionen eine eigene Stimme einzubringen. Aber genau deshalb haben wir uns bei Volt Essen gefragt: Wie hätten wir gehandelt, wenn wir es hätten mitentscheiden dürfen?
Und noch viel wichtiger:
Was denkt ihr?
Welche Projekte sind in Essen dringend? Wo seht ihr echten Handlungsbedarf? Wie sollte die Stadt ihre finanziellen Prioritäten setzen, in einer Zeit, in der vielerorts Gelder fehlen, von Schulen über Spielplätze bis zum öffentlichen Raum?
Wir freuen uns über eure Meinungen, Erfahrungen und Ideen, denn eine Stadt entsteht nicht nur durch Beschlüsse, sondern durch Diskussionen. Und durch Menschen, die sich einmischen.