Duldung in Essen: Fakten, Pro & Contra und ein besserer Weg

Die Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern nur die Aussetzung der Abschiebung. Für viele bedeutet das Dauerunsicherheit. Volt Essen zeigt: Welche Wege es aus der Duldung gibt und wie Essen Integration statt Kettenduldung stärken kann.

23. Aug 2025

Die Duldung (§ 60a AufenthG) ist kein Aufenthaltstitel, sondern nur die vorübergehende Aussetzung einer Abschiebung. Für viele Betroffene bedeutet sie ein Leben im „Dauer-Limbo“: rechtlich zwar geduldet, aber ohne sichere Perspektive. Das kostet nicht nur individuelle Chancen, sondern auch unsere Stadtgemeinschaft, Integration wird erschwert, Potenziale bleiben ungenutzt. Dabei gibt es längst Wege aus dieser Unsicherheit: Chancen-Aufenthaltsrecht, Bleiberechte für gut integrierte Menschen, Ausbildungs- und Beschäftigungsduldungen. Essen hat mit dem „Essener Modell“ erste Ansätze entwickelt, die wir systematisch ausbauen müssen. Wir zeigen: Fakten zur Rechtslage, Pro & Contra der Duldung, aktuelle Änderungen und welche konkreten Schritte Essen jetzt gehen sollte, um Würde, Klarheit und Teilhabe zu sichern.

Was ist eine Duldung, ganz genau?

Die sogenannte Duldung ist im Aufenthaltsgesetz (§ 60a AufenthG) geregelt. Sie bedeutet, dass die Ausländerbehörde eine Abschiebung vorübergehend aussetzt, etwa wenn rechtliche oder tatsächliche Hindernisse bestehen (z. B. fehlende Papiere, laufende Verfahren) oder wenn dringende humanitäre Gründe dagegensprechen.

Wichtig ist: Mit einer Duldung bleibt die Ausreisepflicht bestehen, sie ist kein Aufenthaltstitel, sondern nur ein „Status auf Zeit“. In der Praxis wird sie meist für wenige Monate (oft 1–6 Monate) erteilt und immer wieder verlängert.

Für die Betroffenen bedeutet das Leben mit Duldung erhebliche Einschränkungen:

  • Befristung und ständige Unsicherheit

  • mögliche Wohnsitzauflagen

  • Mitwirkungspflichten gegenüber den Behörden

  • eingeschränkter Zugang zu Arbeit, Ausbildung und Sozialleistungen

Kurz gesagt: Die Duldung schafft kurzfristig rechtliche Klarheit, verhindert aber auf Dauer echte Integration.

Sonderformen / Wege aus der Duldung

Die Duldung ist nicht der einzige rechtliche Status, es gibt Sonderformen und klare Wege heraus, die eine echte Perspektive eröffnen können:

  • Duldung für Personen mit ungeklärter Identität (§ 60b AufenthG)
    Umgangssprachlich auch „Duldung light“. Sie enthält empfindliche Sanktionen, etwa ein Beschäftigungsverbot. Ziel ist die Identitätsklärung. Wichtig: Diese Zeit zählt nicht als Vorduldungszeit für spätere Bleiberechte.

  • Ausbildungsduldung (§ 60c AufenthG)
    Schützt während einer qualifizierten Berufsausbildung (mindestens 2 Jahre). Antragstellung ist bis 7 Monate vor Ausbildungsbeginn möglich. Sie schafft Planungssicherheit für Betriebe und Auszubildende.

  • Beschäftigungsduldung (§ 60d AufenthG)
    Für Personen mit mindestens 18 Monaten sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und weiteren Voraussetzungen. Sie kann eine Brücke zu einem langfristigen Bleiberecht nach § 25b sein.

  • Chancen-Aufenthaltsrecht (§ 104c AufenthG)
    Seit 31.12.2022: bietet einen 18-monatigen „Aufenthalt auf Probe“ für langjährig Geduldete, um Identität und Passfragen zu klären und die Voraussetzungen für § 25a/b zu erfüllen. Laut Bundesverwaltungsgericht (27.02.2025) können auch Minderjährige § 104c erhalten; unter 16 entfällt dabei das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

  • § 25a / § 25b AufenthG – Bleiberechte durch Integration

    • § 25a: für gut integrierte Jugendliche und Heranwachsende

    • § 25b: für nachhaltig integrierte Erwachsene, oft nach langer Beschäftigungsduldung.
      Beide Regelungen setzen Integrationskriterien voraus (z. B. Schulabschluss, Sprachkenntnisse, eigenständige Lebensunterhaltssicherung).

Diese Wege sind rechtlich vorgesehen, sie müssen in Essen bekannter gemacht und konsequent genutzt werden, damit Menschen nicht in dauerhaften „Kettenduldungen“ gefangen bleiben.

Arbeiten mit Duldung, was geht?

Grundsätzlich gilt nach § 32 Beschäftigungsverordnung: Nach 3 Monaten Aufenthalt (egal ob gestattet oder geduldet) kann eine Beschäftigung erlaubt werden. In bestimmten Fällen entfällt die sogenannte Vorrangprüfung oder die Zustimmungspflicht der Bundesagentur für Arbeit, etwa bei Ausbildungen oder bestimmten Praktika.

Einschränkungen gibt es jedoch:

  • Bei einer „Duldung light“ nach § 60b AufenthG (ungeklärte Identität) besteht ein striktes Beschäftigungsverbot.

  • Generell entscheidet die Ausländerbehörde über die Erteilung der Arbeitserlaubnis, oft befristet und mit Eintrag im Dokument.

Essen konkret:
Die Stadt Essen stellt Merkblätter zu „Informationen zur Duldung“ sowie zu „Arbeiten mit Duldung/Fiktionsbescheinigung“ bereit. Kernaussagen dort:

  • Eine Duldung wird meist nur für 1–6 Monate ausgestellt.

  • Eine Beschäftigungserlaubnis kann auf Antrag eingetragen werden.

  • Die Zustimmungstatbestände der Bundesagentur für Arbeit sind aufgeführt, sodass Antragsteller:innen wissen, welche Beschäftigungen möglich sind.

Damit ist Arbeiten mit Duldung zwar grundsätzlich möglich, in der Praxis aber von rechtlichen Details, individuellen Auflagen und der Haltung der Behörde abhängig.

Was hat sich 2024/25 geändert?

Die letzten beiden Jahre brachten wichtige Änderungen im Aufenthaltsrecht:

  • Rückführungsverbesserungsgesetz (seit 27.02.2024 in Kraft)
    Es verschärft die Instrumente zur Rückführung, etwa durch erleichterte Abschiebungshaft. Gleichzeitig wurde die ursprünglich geplante Abschaffung der Ausbildungsduldung (§ 60c) zurückgenommen. Sie bleibt bestehen, parallel zur neuen Aufenthaltserlaubnis zur Ausbildung nach § 16g.

  • Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27.02.2025
    Der § 104c (Chancen-Aufenthaltsrecht) gilt auch für Minderjährige. Bei unter 16-Jährigen entfällt die Pflicht zum Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Damit wird der Brückencharakter des Chancen-Aufenthalts gestärkt.

  • Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 25.04.2025
    Anspruch auf eine Verfahrensduldung im § 104c-Verfahren, wenn die Voraussetzungen irgendwann gleichzeitig vorlagen. Das stärkt die Rechtssicherheit im Übergang.

  • Praxis in Deutschland
    Bis Anfang September 2024 wurden bundesweit bereits über 76.000 Chancen-Aufenthalte erteilt (Daten aus dem Ausländerzentralregister, BAMF-Kurzanalyse 03|2025).

Diese Entwicklungen zeigen: Trotz verschärfter Rückführungsinstrumente wächst die Bedeutung von Chancenregelungen, auch in Essen sollten wir diesen Weg offensiv nutzen, um Perspektiven statt Dauer-Limbo zu schaffen.

Lage & Stimmen in Essen

Städtische Informationen & Praxis
Die Essener Ausländerbehörde stellt offizielle Merkblätter zur Verfügung, etwa zu Duldung und Erwerbstätigkeit und verweist auch Arbeitgeber:innen auf die Beschäftigungsmöglichkeiten von Geduldeten oder Inhaber:innen einer Fiktionsbescheinigung. Damit soll Transparenz über rechtliche Rahmenbedingungen geschaffen werden.

„Essener Modell“ (2024)
Ein besonderer Ansatz ist das sogenannte Essener Modell: Die Stadt unterstützt vor allem langjährig Geduldete, darunter viele Menschen libanesisch-kurdischer Herkunft, beim Übergang in ein gesichertes Bleiberecht. Darüber wurde u. a. im Jugendhilfeausschuss berichtet (Radio Essen).

Rahmen & Kontext NRW/Essen
Das Integrationsmonitoring NRW (2025) liefert Rahmendaten und zeigt: Migration ist längst Teil der städtischen Realität. Konkrete Zahlen zur Zahl der Geduldeten in Essen sind öffentlich allerdings kaum ausgewiesen. Die Praxis setzt stark auf Einzelfall-Clearing, d. h. individuelle Prüfung und Begleitung statt pauschaler Lösungen.

Fazit: Essen hat bereits Bausteine für eine aktive Bleiberechtsstrategie entwickelt, Transparenz, individuelle Verfahren und das Essener Modell. Entscheidend wird sein, ob diese Ansätze systematisch ausgebaut und langfristig gesichert werden.

Pro & Contra Duldung (fair abgewogen)

Wozu die Duldung (Pro-Argumente):

  • Rechtliche Brücke statt Illegalität: Wenn eine Abschiebung rechtlich oder tatsächlich unmöglich ist (z. B. fehlende Papiere, Krankheit, Abschiebestopp), schafft die Duldung einen legalen Status auf Zeit und ermöglicht behördliche Steuerung.

  • Differenzierung und Steuerung: Sonderformen wie Ausbildungs- (§ 60c) oder Beschäftigungsduldung (§ 60d) honorieren Ausbildung und Arbeit. Die „Duldung light“ (§ 60b) setzt gezielt Anreize zur Identitätsklärung.

  • Sicherheit & Verfahrenstreue: Während Identität und Pass geprüft werden, bleibt die Person im System. Das schafft Planbarkeit für Behörden und schützt vor Untertauchen, Zielrahmen auch der Rückführungsreformen 2024.

Was dagegen spricht (Contra-Argumente):

  • Dauer-Limbo („Kettenduldungen“): Ständige Befristungen im 1–6-Monats-Takt erzeugen Unsicherheit mit negativen Folgen für Bildung, Arbeit und Gesundheit. Studien zeigen: Geduldete berichten von deutlich geringerer Lebenszufriedenheit und hohen psychischen Belastungen.

  • Arbeitsmarkthürden & Bürokratie: Auflagen wie Beschäftigungserlaubnis, Identitätsklärung oder Wohnsitzauflagen verzögern Integration. § 60b bewirkt teils strikte Arbeitsverbote, selbst wenn Dokumente faktisch nicht beschafft werden können.

  • Kosten & verschenktes Potenzial: Statt zügiger Job-Integration entstehen lange Wartezeiten, die soziale Folgekosten erzeugen und Chancen auf Fachkräfte ungenutzt lassen. Das widerspricht auch den aktuellen Arbeitsmarktstrategien (Job-Turbo).

  • Rechtsunsicherheit & uneinheitliche Praxis: Unterschiedliche Bewertungen, etwa bei Identitätsklärung oder Integrationsleistung, führen zu Konflikten. Beispielhaft steht die bundesweit diskutierte Abschiebung eines Einser-Abiturienten nach Irak trotz hoher Integrationsleistung.

Fazit der Abwägung:
Die Duldung ist als Not-Instrument sinnvoll, sie schafft kurzfristig Rechtsklarheit und Steuerung. Als Dauerzustand schadet sie jedoch allen: den Betroffenen, der Verwaltung und der Stadtgesellschaft. Entscheidend ist, Fälle zügig in Bleiberechte zu überführen, wo Recht und Integration es erlauben, und klar abzuschieben, wo es rechtsstaatlich geboten und möglich ist.

Position & Vorschläge für Essen

Unser Leitbild: Würde, Rechtssicherheit und schnelle Integration statt Kettenduldung. Die Duldung darf kein Dauerzustand bleiben, Essen braucht ein systematisches Verfahren, das Chancen auf Bleiberecht sichtbar macht und konsequent nutzt.

Unsere Vorschläge:

  • „Bleibeperspektiven-Check“ als Standard
    Jede Duldung wird proaktiv geprüft auf § 104c, § 25a, § 25b, § 60c und § 60d.
    → Automatischer Hinweisbescheid an Betroffene und Beratungsstellen, wenn Kriterien erfüllt sind.

  • Job-Turbo konsequent lokal umsetzen
    Einrichtung einer One-Stop-Sprechstunde (Ausländerbehörde × Jobcenter × BA × HWK/IHK), um nach Erteilung der Beschäftigungserlaubnis sofort Job-Matching zu ermöglichen.
    → Begleitendes Deutschlernen im Job statt „erst Sprachkurs, dann Job“.

  • Ausbildung vor Abschiebung
    § 60c konsequent priorisieren: kein Abbruch laufender Ausbildungen.
    → Frühzeitige Antragstellung (7 Monate vorher) mit klaren Checklisten und Hotline für Betriebe.

  • Beschäftigungsduldung als Brücke zu § 25b
    Clearing für Beschäftigte ab 12 Monaten sozialversicherungspflichtiger Arbeit.
    → Ziel: Übergang in § 60d, anschließend nach 30 Monaten stabiler Erwerbstätigkeit in § 25b.

  • Identitätsklärung fair & realistisch
    Unterstützung bei Dokumentenbeschaffung (Botschaftstermine, Übersetzungen), klare Fristen und verhältnismäßige Verfahren.
    → Besonders bei Jugendlichen: Integration nicht durch unlösbare Formalien blockieren.

  • Verfahrensduldung nutzen
    Während eines laufenden § 104c-Verfahrens darf kein „Luftloch“ zwischen den Status entstehen.
    → Verfahrensduldung nach Linie des VG Düsseldorf gewähren.

  • „Essener Modell“ ausbauen
    Den begonnenen Ansatz für langjährig Geduldete verstetigen, erweitern und transparent machen – mit klaren Kennzahlen, Fristen und Erfolgsberichten.

  • Härtefall-Management stärken
    Geeignete Fälle systematisch an die Härtefallkommission NRW zuleiten, mit sozialräumlicher Begründung (Schule, Arbeit, Familie).

  • Kommunikation & Deeskalation
    Mehrsprachige Infopakete bereitstellen („Von der Duldung ins Bleiberecht – Chancen & Wege“).
    → Öffentlich erklären, wann schnelle Integration der richtige Weg ist und wann konsequente Rückführung rechtlich geboten ist – für einen klaren und nachvollziehbaren Rechtsstaat.

Fazit aus Sicht von Volt Essen

Die Duldung ist kein Zukunftsmodell. Sie kann kurzfristig nötig sein, darf aber nicht zum Dauerzustand werden. Essen hat mit dem Essener Modell und ersten Clearing-Ansätzen eine Grundlage geschaffen, jetzt braucht es den nächsten Schritt: ein systematisches, faires und transparentes Verfahren, das Chancenrechte konsequent anwendet, Integration beschleunigt und Rückführungen klar regelt.

So schaffen wir Rechtssicherheit, vermeiden Kettenduldungen und setzen auf eine Politik, die Menschen eine Perspektive gibt, Verwaltung entlastet und das Vertrauen in den Rechtsstaat stärkt.

Häufige Missverständnisse: kurz erklärt!

„Duldung = legaler Aufenthaltstitel“
Nein. Eine Duldung ist kein Aufenthaltstitel, sondern nur die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung. Die Ausreisepflicht bleibt bestehen.

„Mit Duldung darf man nicht arbeiten“
Pauschal falsch. Nach 3 Monaten Aufenthalt kann eine Arbeitserlaubnis erteilt werden (§ 32 BeschV). Ausnahmen gelten, z. B. bei der Duldung light (§ 60b), die ein Arbeitsverbot beinhaltet.

„Chancen-Aufenthalt gilt nicht für Minderjährige“
Doch. Das Bundesverwaltungsgericht (27.02.2025) hat klargestellt: Auch Minderjährige können § 104c nutzen. Unter 16 entfällt das Bekenntnis zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung.