Was hättest du getan? Unser schwerster Beschluss seit Amtsantritt.

Es gibt Beschlüsse im Rat, die man nüchtern abwägen kann und es gibt Beschlüsse, die einem emotional die Beine wegziehen, weil jede Option falsch ist, und dennoch entschieden werden muss. Genau vor so einer Entscheidung standen wir gestern: die Änderung der Rettungsdienstgebühren für die Jahre 2026 und 2027.

11. Dez 2025

"Wir haben innerlich geschrien." ein Bericht von Mandy Hindenburg, Ratsfrau der Gruppe Volt & Die PARTEI

Denn wir wissen, wie dramatisch diese Entscheidung für viele Essenerinnen und Essener klingt. Wir wissen, welche Existenzfragen sie aufwirft und wir wissen, welche Schlagzeilen sie produziert, Schlagzeilen, die sich gut verkaufen, aber selten erklären, wie es wirklich dazu kommt.

Trotzdem mussten wir zustimmen und ich möchte dir heute erklären, warum.

Ein Dilemma, das uns alle betrifft

Auf der einen Seite stehen die Bürgerinnen und Bürger dieser Stadt, die nicht noch mehr Belastungen schultern können. Menschen, die schon die 10 Euro Notdienstgebühr kaum stemmen können. Menschen, die jetzt Angst haben, bei einem medizinischen Notfall die 112 zu wählen, weil sie fürchten, dass eine dreistellige Rechnung ins Haus flattert. Und ja, wir verstehen diese Angst absolut.

Auf der anderen Seite steht eine Stadt, deren Haushaltslage so angespannt ist, dass der Begriff „prekär“ fast schon verharmlosend klingt. Würden wir die Gebühren nicht anpassen, würde Essen in den nächsten zwei Jahren ein Loch von rund 37 Millionen Euro allein im Rettungsdienst reißen. Eine Summe, die wir nicht kompensieren können, ohne die Stadt noch tiefer in eine Schieflage zu stürzen.

Beide Seiten sind bitter.
Beide Seiten tun weh.
Und doch mussten wir eine Entscheidung treffen.

Die Frage, die keiner beantwortet: Warum zahlen Krankenkassen diese Kosten nicht mehr?

Das ist der Punkt, an dem viele Bürgerinnen und Bürger berechtigterweise wütend werden und ich bin es auch.

Wir alle zahlen Krankenkassenbeiträge, Monat für Monat und Jahr für Jahr. Wir zahlen sie im Vertrauen darauf, dass im Notfall medizinische Versorgung gewährleistet ist.

Doch genau an dieser Stelle ist das System gerissen:
Die Krankenkassen weigern sich, wesentliche Teile der Rettungsdienstkosten anzuerkennen. Fehlfahrten zum Beispiel, die in Essen nicht selten Leben retten, weil sie eben oft „Verdachtsfälle“ betreffen. Oder die Unterdeckung der letzten Jahre, die laut Gesetz nachkalkuliert werden muss.

Die Kassen zahlen nur noch Festbeträge. Die Stadt muss aber per Gesetz kostendeckend kalkulieren und diese Differenz bleibt am Ende, zumindest nach aktueller Rechtslage, an den Bürgern hängen.

Ich frage mich: Wie kann das sein? Wie passt das mit der Grundidee eines solidarischen Gesundheitssystems zusammen? Warum genau darf eine Krankenkasse das und wo ist die Lücke, die das möglich macht?

Ich habe darauf noch keine befriedigende Antwort bekommen und genau deshalb müssen wir darüber sprechen.

Unsere Verantwortung: Wir dürfen die Stadt nicht in die Zahlungsunfähigkeit treiben

Als Ratsmitglieder haben wir ein Mandat. Ein Mandat, das uns verpflichtet, handlungsfähig zu bleiben. Ein Mandat, das uns verpflichtet, Pflichtaufgaben wie den Rettungsdienst zu sichern.

Wenn wir wissentlich eine Gebührensatzung ablehnen, die nach Gesetz kostendeckend sein muss, riskieren wir nicht nur die Leistungsfähigkeit des Rettungsdienstes, wir riskieren auch, dass die Kommunalaufsicht eingreift, wir riskieren strafrechtliche Fragen und wir riskieren, dass Essen irgendwann buchstäblich an die Wand fährt.

Und genau das dürfen wir nicht zulassen.

Es ist ein schwerer Satz, aber er ist wahr:
Wir mussten zustimmen, um die Stadt nicht weiter zu destabilisieren.

Aufklärung statt Panik, das sind wir euch schuldig

Ich halte nichts davon, Bürgerinnen und Bürger mit dramatischen Schlagzeilen allein zu lassen. Wir brauchen keine Angstspirale. Wir brauchen eine klare, faktenbasierte Kommunikation.

Deshalb sagen wir ganz deutlich:

  • Bei akuten medizinischen Notfällen gilt weiterhin: Wählt die 112. Immer.

  • Niemand soll sterben, weil er Angst vor einer Rechnung hat.

  • Die Stadt muss sofort eine Kommunikationsstrategie vorlegen, die genau das erklärt.

Wir haben diese Forderung im Rat eingebracht und wir werden darauf bestehen, dass sie umgesetzt wird.

Härtefallregelungen und zwar ernst gemeint, nicht symbolisch

Der Ratsbeschluss sieht vor, dass die Verwaltung bis Februar ein Härtefallkonzept vorlegt.
Für uns ist klar:

  • Das darf kein Luxus-Beiblatt werden.

  • Das muss sozial greifen.

  • Das muss Menschen schützen, die sich solche Kosten nicht leisten können.

Wir werden das sehr genau kontrollieren.

Politischer Druck: Das eigentliche Problem sitzt nicht in Essen

Der Konflikt ist nicht kommunal entstanden. Er entsteht aus Lücken im Sozialgesetzbuch, im Rettungsgesetz NRW und im System der Krankenkassen.
Deshalb brauchen wir:

  • politischen Druck auf Landes- und Bundesebene

  • klare gesetzliche Regelungen, die Fehlfahrten und Vorhaltekosten anerkennen

  • eine Finanzierung, die solidarisch statt restriktiv ist

Solange das nicht gelöst ist, werden Städte wie Essen immer wieder in genau diese Zwangslagen geraten.

Eine Entscheidung, die uns allen weh tut, aber notwendig war

Wenn du mich fragst, wie sich die Abstimmung angefühlt hat:
Wie ein Stich ins eigene Herz.

Weil wir es für die Bürger tun wollten und gleichzeitig gegen die Bürger handeln mussten.
Weil wir ihre Sorgen absolut verstehen und trotzdem Verantwortung für das Ganze tragen müssen.
Weil wir als Ratsmitglieder täglich erleben, dass Politik manchmal nicht aus Wollen besteht, sondern aus Müssen.

Wir haben dieser Satzung zugestimmt, weil wir die Stadt schützen mussten.
Wir kämpfen weiter dafür, dass die Bürger geschützt werden.

Und ich verspreche dir:
Wir lassen das nicht so stehen.
Wir werden nicht ruhig sein.
Wir werden die Verantwortlichen in die Pflicht nehmen, bis eine Lösung auf dem Tisch liegt, die diesen Namen verdient.