Bezahlkarte in Essen: Opt-out nutzen, Würde sichern, Alltag stärken

Die Bezahlkarte sorgt in Essen für Diskussion: Verwaltung spricht von Vereinfachung, Kritiker von Bürokratie, Kosten und Einschränkungen im Alltag. Seit Januar 2025 ist sie in NRW eingeführt, doch Kommunen können per Ratsbeschluss ein Opt-out ziehen. Für Essen geht es um mehr als Technik – es geht um Integration, Würde und Teilhabe. Volt setzt dabei auf pragmatische Lösungen: fair, würdevoll und alltagstauglich.

16. Jun 2025

In Essen steht eine wichtige Entscheidung an: Soll die Stadt die sogenannte Bezahlkarte für Geflüchtete einführen oder nicht? Seit dem 7. Januar 2025 ist sie in NRW-Landeseinrichtungen im Einsatz, die Kommunen können ihr folgen, müssen es aber nicht. Die Debatte in Essen läuft, Positionen gehen weit auseinander.

Für uns bei Volt ist klar: Es geht nicht nur um eine technische Lösung, sondern um eine Frage von Fairness, Teilhabe und Pragmatismus. Politik darf Menschen nicht spalten, sondern muss Brücken bauen, zwischen Verwaltung, Betroffenen und Stadtgesellschaft. Genau hier braucht es eine faire Abwägung und klare Alternativen, die Integration fördern, Missbrauch vorbeugen und zugleich den Alltag der Menschen vereinfachen.

Was ist die Bezahlkarte und worauf stützt sie sich rechtlich?

Die sogenannte Bezahlkarte ist ein Zahlungsmittel, das anstelle von Bargeldauszahlungen an Geflüchtete eingesetzt werden kann. Ziel ist es, Verwaltungsprozesse zu vereinfachen und Transparenz über die Leistungsausgaben zu schaffen. Rechtlich fußt das Instrument sowohl auf bundes- als auch auf landesrechtlichen Regelungen:

  • Bundesrecht:
    Am 12. April 2024 verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz zur „Anpassung von Datenübermittlungsvorschriften“. Damit wurde die rechtliche Grundlage geschaffen, Sozialleistungen auch über Bezahlkarten abzuwickeln. Ergänzend erlaubt das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), dass Leistungen in Form einer Bezahlkarte gewährt werden können. Wichtig ist: Es handelt sich bundesweit um eine Kann-Bestimmung, keine verpflichtende Vorgabe.

  • NRW-Recht:
    Auf Landesebene konkretisiert die Bezahlkartenverordnung NRW (BKV NRW) vom 2. Januar 2025 den Rahmen. Sie legt fest, dass die Bezahlkarte in Nordrhein-Westfalen grundsätzlich eingesetzt werden soll, allerdings mit einer Opt-out-Möglichkeit: Kommunen dürfen per Ratsbeschluss beschließen, auf den flächendeckenden Einsatz zu verzichten. Diese Verordnung ist am 7. Januar 2025 in Kraft getreten.

  • Praxis-Parameter:
    Die Ausgestaltung der Karte ist nicht einheitlich. Viele Bundesländer sehen Bargeldabhebungen von rund 50 € pro Monat vor, um alltägliche Ausgaben flexibel tätigen zu können. Ob und in welchem Umfang weitere Funktionen, wie Online-Zahlungen oder Auslandsüberweisungen, zugelassen werden, variiert je nach Auslegung und kommunaler Umsetzung.

Was ist in NRW bisher passiert?

  • Start & Rollout:
    Nordrhein-Westfalen hat die Bezahlkarte am 7. Januar 2025 eingeführt. Zunächst startete ein Pilot in fünf Landeseinrichtungen, der anschließend auf alle Einrichtungen des Landes ausgeweitet wurde. Perspektivisch sollen auch die Kommunen folgen, sie sind jedoch nicht verpflichtet, sondern können per Ratsbeschluss von der Regelung abweichen.

  • Kommunale Vielfalt:
    Die Praxis zeigt ein heterogenes Bild: Einige Städte haben die Bezahlkarte bereits eingeführt, andere haben den Einsatz verschoben oder sich über die Opt-out-Möglichkeit dagegen entschieden. Der Städtetag NRW unterstützt grundsätzlich das Ziel eines flächendeckenden Einsatzes, verweist jedoch auf offenen Klärungsbedarf, insbesondere zur Finanzierung, rechtlichen Sicherheit und technischen Umsetzung.

  • Kostenrahmen:
    Für die Einführung und den Betrieb der Bezahlkarte sind im NRW-Haushalt 2025 rund 12 bis 12,5 Millionen Euro vorgesehen. Diese Summe deckt vor allem System- und Infrastrukturkosten ab, nicht jedoch den zusätzlichen Personalbedarf in den Kommunen. Kommunale Vorlagen und Auswertungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen bestätigen diesen Kostenrahmen.

Wie ist die Lage in Essen?

Stadtspitze und Verwaltung:
Früh im Jahr 2025 berichtete die WAZ, dass die Stadt Essen die Einführung der Bezahlkarte vorbereite. Sozialdezernent Peter Renzel (CDU) äußerte zeitweise, ein Ratsbeschluss sei dafür nicht notwendig. Allerdings stellt die Landesverordnung klar: Nur ein Ratsbeschluss ermöglicht das Opt-out, also die Abkehr vom Regelfall. Ohne eine solche Entscheidung gilt die Bezahlkarte automatisch als Standard.

Integrationsrat:
Am 28. Mai 2025 sprach sich der Integrationsrat Essen gegen die Bezahlkarte aus. Dieser Beschluss wurde von der Grünen Ratsfraktion veröffentlicht. Offizielle Sitzungsdokumente sind zwar schwer zugänglich, der Termin wird aber in den städtischen Übersichten bestätigt.

Parteipositionen in Essen:

  • Grüne: lehnen die Bezahlkarte ab. Sie verweisen auf zusätzliche Kosten, erhöhte Bürokratie und Nachteile für Betroffene.

  • Die Linke: ebenfalls dagegen. Sie fordern die Grünen auf, eine Ratsmehrheit für das Opt-out zu organisieren.

  • FDP: befürwortet die Bezahlkarte. Die Fraktion bezeichnet sie als pragmatische Lösung und kritisiert die ablehnende Haltung der Grünen.

  • SPD/CDU: bislang keine klar dokumentierten Fraktionsbeschlüsse. Einzelne Äußerungen erfolgen über Verwaltung und Koalitionsabsprachen, wie u. a. in der WAZ berichtet.

  • Volt NRW (Landesverband): lehnt die Bezahlkarte ab. Volt plädiert stattdessen für ein neutrales Basiskonto, eine reguläre Bankkarte ohne Sonderstatus, die diskriminierungsfreier und alltagstauglicher wäre.

Pro-Argumente (fair zusammengefasst)

  • Verwaltungsvereinfachung vor Ort:
    Die Befürworter:innen der Bezahlkarte verweisen auf eine spürbare Entlastung in der Verwaltung. Bargeldausgaben an städtischen Kassen würden reduziert, Abläufe vereinheitlicht und Missbrauchsmöglichkeiten, etwa durch zweckfremde Verwendung von Leistungen, eingeschränkt. Auch der Städtetag NRW lobt eine einheitliche Linie und verweist auf die Zusage des Landes, die Einführungskosten abzufedern.

  • Transparenz & Steuerung:
    Die Karte soll durch standardisierte Parameter wie Bargeldlimits und Sperrlisten eine zweckgebundene Verwendung der Leistungen sicherstellen. Politisch wurde dieses Modell bereits 2023 zwischen Bund und Ländern vereinbart, um mehr Kontrolle und Vergleichbarkeit zu erreichen.

  • Schneller startfähig:
    Mit der Bezahlkartenverordnung (BKV NRW), der zentralen Technik-Infrastruktur und Haushaltsmitteln im Landeshaushalt hat Nordrhein-Westfalen den Rahmen bereits geschaffen. Kommunen können sich vergleichsweise unkompliziert an dieses System „andocken“ und es übernehmen.

  • Würdigung:
    Aus Sicht der Verwaltung sind diese Punkte nachvollziehbar: Standardisierte Prozesse erleichtern Planung und Kontrolle, entlasten Mitarbeitende und sorgen für einheitliche Regeln. Gerade in großen Städten mit knappen personellen und finanziellen Ressourcen wirkt die Aussicht auf Vereinfachung und Planbarkeit zunächst attraktiv.

Contra-Argumente (fair zusammengefasst)

  • Stigmatisierung & Teilhabeeinschränkungen:
    Die Bezahlkarte ist eine Sonderlösung, die Betroffene im Alltag sichtbar von anderen Menschen unterscheidet. Gerade dort, wo Barzahlung üblich ist, auf Wochenmärkten, in Vereinen oder bei Flohmärkten, entstehen Hürden. Auch digitale Barrieren können Integration erschweren. Praxisexpert:innen und wissenschaftliche Studien warnen vor den negativen Signalen für gesellschaftliche Teilhabe.

  • 50-€-Bargeldlimit:
    Viele Bundesländer setzen auf Bargeldobergrenzen von etwa 50 € im Monat. Für den Alltag reicht das oft nicht: Monatskarten im ÖPNV, Vereinsbeiträge oder gebrauchte Kinderkleidung auf Flohmärkten überschreiten diesen Rahmen. Medienberichte und Flüchtlingsräte dokumentieren entsprechende Beschwerden von Betroffenen.

  • Mehr Bürokratie statt weniger:
    Mehrere Kommunen bezweifeln, dass die Karte tatsächlich Verwaltungsaufwand reduziert. Im Gegenteil: In Köln wurde die Verordnung als kontraproduktiv eingestuft, weil zusätzlicher Prüfaufwand und Abstimmungen entstehen. Auch andere Städte sehen keine echte Entlastung.

  • Kosten/Nutzen fraglich:
    Im NRW-Haushalt 2025 sind rund 12–12,5 Mio. € für Systemkosten eingeplant, ohne Personalaufwand. Zivilgesellschaftliche Analysen gehen bundesweit von hohen Gesamtkosten bei fraglichem Nutzen aus. Für Kommunen besteht zudem die Gefahr, dass sie zusätzliche Belastungen tragen müssen.

  • Rechtliche Grauzonen & Grundrechte-Debatte:
    Organisationen wie die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) und PRO ASYL kritisieren die Karte grundsätzlich. Sie sehen in der Sonderregelung für eine klar definierte Gruppe Eingriffe in Menschenwürde und Teilhabe. Die juristische Diskussion über Grundrechte und Diskriminierung ist noch nicht abgeschlossen.

  • Würdigung:
    Diese Bedenken sind real und legitim. Sie greifen nicht auf Ideologie zurück, sondern benennen konkrete Alltagsprobleme, Fragen der Würde und offene rechtliche Risiken.

Was bedeutet das spezifisch für Essen?

  • Sozialer Alltag:
    Essen ist eine große, vielfältige Stadt mit einem lebendigen Vereinswesen und zahlreichen Wochenmärkten. Gerade hier zeigt sich schnell, wie alltagsfremd eine Sonderkarte mit engem Bargeldlimit wirken kann: Ob beim Einkauf auf dem Markt, bei Vereinsbeiträgen, beim Kauf von Bar-Tickets oder Second-Hand-Kleidung, viele typische Alltagssituationen lassen sich mit einer eingeschränkten Bezahlkarte kaum abbilden.

  • Verwaltung & Finanzen:
    Die Stadt Essen steht seit Jahren unter hohem Kostendruck. Entscheidend ist deshalb, ob die Bezahlkarte tatsächlich entlastet oder wie Erfahrungen aus anderen Kommunen nahelegen, zusätzlichen Verwaltungsaufwand schafft. Auch die Grünen im Rat verweisen in ihrer Ablehnung auf mögliche Mehrarbeit und Zusatzkosten, die die Vorteile schnell relativieren würden.

  • Politische Gemengelage:
    Der Integrationsrat Essen hat sich kritisch positioniert. Die Grünen lehnen die Karte klar ab, ebenso die Linke. Die FDP tritt dagegen für die Einführung ein. Damit ist die Ratsmehrheit für ein Opt-out noch offen. Klar ist jedoch: Ohne einen Ratsbeschluss bleibt die Karte der Regelfall. Die Verwaltung kann währenddessen zwar technisch weiter vorbereiten, politisch braucht es aber eine klare Entscheidung, um Verbindlichkeit zu schaffen.

Progressiver, lösungsorientierter Pfad – unsere Empfehlung

Volt steht für Lösungen, die Teilhabe sichern, Verwaltung entlasten und zugleich Menschenwürde respektieren. Unser Ansatz ist klar: Basiskonto statt Sonderkarte.

  • Basiskonto statt Sonderkarte:
    Leistungsberechtigte sollten ab Tag 1 ein reguläres Basiskonto bei einer Bank (z. B. Sparkasse) eröffnen können, mit einer neutralen Debitkarte ohne Sonderaufschrift, Geoblocks oder Einschränkungen. Für Bar-only-Situationen braucht es eine kleine Bargeld-Komponente, Sachleistungen sollten nur in eng begrenzten Ausnahmefällen vorgesehen sein. Der Vorteil: Normalität, finanzielle Inklusion und gleiche Rechte im Alltag, verbunden mit der digitalen Transparenz, die jedes Konto ohnehin bietet.

  • Wenn Karte, dann normal:
    Falls Kommunen dennoch eine Karte einsetzen, müssen Mindeststandards gelten. Die Karte muss wie jede andere Debitkarte online und offline akzeptiert werden, ohne Sonderlisten oder sichtbare Stigmatisierung. Bargeldlimits sollten realistisch sein (150–200 €) und ohne geografische Sperren innerhalb Deutschlands. Ergänzend braucht es Transparenzpflichten: jährliche Berichte zu Kosten, Verwaltung und Akzeptanzproblemen sowie eine mehrsprachige Nutzer-Hotline.

  • Job-First & Konto-First:
    Volt verbindet Integration mit Teilhabe. Das heißt: sofortige Kontoeröffnung, begleitende Jobvermittlung durch Jobcenter, Arbeitsagentur und Handwerksinnungen, flankiert von mehrsprachiger Finanzbildung. Wer früh Zugang zu Arbeit und einem Konto hat, braucht weniger Transferleistungen und gewinnt schneller Eigenständigkeit.

  • Dialog mit Betroffenen & Zivilgesellschaft:
    Wir wollen nicht über, sondern mit den Menschen entscheiden. Deshalb schlagen wir runde Tische vor, mit Integrationsrat, Wohlfahrtsverbänden, Stadtteilinitiativen, Wochenmärkten und Vereinen. Dort wird gesammelt, welche Alltagssituationen Bargeld erfordern und welche Hürden bestehen. Die Ergebnisse fließen in ein öffentliches Pflichtenheft ein, das jede Lösung, ob Karte oder Konto, verbindlich begleiten muss.

👉 Unser Ziel ist eine faire, alltagstaugliche Lösung für Essen: mehr Würde, mehr Freiheit, mehr Normalität.

Essen sollte das Opt-out nutzen und stattdessen auf ein neutrales Basiskonto mit Bargeld-Komponente setzen, die Bezahlkarte, wenn überhaupt, nur übergangsweise in Landeseinrichtungen, bis Konten eröffnet sind: administrativ machbar, würdevoller, alltagstauglich und ohne neue Barrieren.