Mehr als Mathe und Grammatik – Warum lebensnahe Bildung an Schulen unverzichtbar ist

Autor: Jonas Wolf

Im Rahmen seines Schülerpraktikums bei der Volt-Fraktion hat sich Jonas mit einem Antrag der Fraktion Uffbasse zum Thema "Stärkung von lebensnahem Wissen, z.B. zu finanziellen und politischen Themen an Darmstädter Schulen" auseinandergesetzt. Seine Meinung zur Thematik stellt er euch in diesem Kommentar vor.

4. Apr 2025
Symbolbild Euromünzen und -banknoten

In der Schule lernen wir eine Menge: mathematische Formeln, literarische Analysen, geschichtliche Ereignisse. Doch wenn es um ganz praktische Themen geht – etwa wie man eine Steuererklärung macht, worauf man bei einem Mietvertrag achten muss oder wie politische Entscheidungen zustande kommen –, dann bleibt vieles auf der Strecke. Dabei sind genau diese Kenntnisse essentiell für ein selbstbestimmtes Leben. Ein neuer Vorschlag in Darmstadt setzt sich dafür ein, lebensnahes Wissen stärker in den Schulalltag zu integrieren. Das ist nicht nur sehr sinnvoll, sondern längst überfällig.

Finanzen, Recht und Politik – Wissen für die Zukunft

Junge Menschen stehen früher oder später vor Herausforderungen, auf die sie in ihrer mindestens neunjährigen Schullaufbahn nicht vorbereitet wurden. Die erste Steuererklärung ist für viele ein nahezu unlösbares Rätsel. Kein Wunder, dass die Popularität von Apps für die Steuererklärung über die vergangenen Jahre rasant angestiegen ist. Eine repräsentative Befragung von 1000 Personen über 16 zeigt, dass im Jahr 2023 8 % ihre Steuererklärungen mit Hilfe einer App ausfüllten – im Vorjahr war es noch die Hälfte. Klar, diese Apps sind praktisch und es sind sicher auch nicht nur junge Menschen unter den Nutzern. Trotzdem sollte man nach seiner Schullaufbahn, während der man aufs Leben vorbereitet werden sollte, nicht auf irgendwelche Apps angewiesen sein, um fast alltägliche Dinge wie die Steuererklärung zu erledigen. 

Ein großes Problem an Schulen ist außerdem, dass die politische Bildung oft auf theoretische Konzepte beschränkt bleibt. Zwar werden demokratische Prinzipien wie Gewaltenteilung, Wahlsysteme oder historische Entwicklungen behandelt, doch ein konkreter Bezug zum eigenen Alltag fehlt häufig. Viele Schüler*innen verlassen die Schule, ohne genau zu wissen, wie sie ihre eigenen Interessen politisch vertreten können, welche Möglichkeiten der Mitbestimmung sie haben oder wie sie sich aktiv in gesellschaftliche Prozesse einbringen können.

Hinzu kommt, dass oft neutral und faktenbasiert unterrichtet wird, ohne eine kritische Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Problemen oder politischen Mechanismen zu fördern. Ohne die nötigen Kompetenzen fällt es vielen schwer, sich eine starke eigene Meinung zu bilden und bestimmte Themen und Prozesse kritisch zu prüfen. Politik bleibt für viele dadurch eine abstrakte und schwer greifbare Materie, die wenig mit ihrem eigenen Leben zu tun zu haben scheint. Dies trägt dazu bei, dass junge Menschen sich von politischen Prozessen entfremden und nicht aktiv an ihnen teilnehmen. 

Für mich persönlich ist politisches Interesse essentiell für ein selbstbestimmtes Leben. Man muss doch darüber Bescheid wissen, was für aktuelle Ereignisse und politische Prozesse derzeit im Gange sind und von was man wie betroffen wird. Wenn junge Menschen aber schon allein durch die politische Bildung in der Schule jegliches Interesse daran verlieren und sich zunehmend von Politik und Staat entfremden, sorgt das nicht nur für weniger Vertrauen in die Politik, sondern schädigt auch dem politischen Diskurs durch eine stärkere Emotionalisierung und eine Abwendung von Fakten hin zu einfacheren Antworten. Die dadurch entstehende Eskalation in der Diskussion einiger Themen können wir derzeit besonders im Bereich der Migration erkennen.

Auch bei der rechtlichen Bildung weist unser hessisches Schulsystem einige Mängel auf. Mietverträge, Arbeitsverträge oder Verbraucherrechte – all das sind Themen, mit denen jede*r irgendwann konfrontiert wird, zur Sprache kommen sie aber im Schulkontext quasi nie.  Ohne Vorkenntnisse fällt es schwer, sich in diesen Bereichen richtig zurechtzufinden. Wer frühzeitig lernt, worauf es ankommt, kann sich später besser vor nachteiligen Klauseln oder rechtlichen Problemen schützen. Wäre es nicht sinnvoll, zu wissen, welche Rechte man als Mieter*in hat oder was in einem Arbeitsvertrag kritisch sein könnte? 

Der Vorschlag der Uffbasse-Fraktion für Darmstädter Schulen könnte genau hier ansetzen. Vorgesehen sind unter anderem regelmäßige Besuche von Stadtverordneten, um politische Entscheidungsprozesse greifbarer zu machen, sowie Kooperationen mit Unternehmen und Kanzleien, die praxisnahe Workshops zu wirtschaftlichen und rechtlichen Themen anbieten. Die Stadt soll dabei als koordinierende Stelle fungieren, um sicherzustellen, dass Schulen unkompliziert auf diese Angebote zugreifen können. 

Konkrete Vorteile für Schüler*innen

Ein verstärkter Fokus auf lebensnaher Bildung hätte eine Vielzahl an Vorteilen für Schüler*innen. Ihre finanzielle Kompetenz beispielsweise könnte erheblich gesteigert werden, wenn sie wüssten, wie man ein Bankkonto sinnvoll nutzen kann, welche Versicherungen nötig sind oder wie Kredite funktionieren. Das könnte viele davor bewahren, sich zu verschulden und sie generell dazu befähigen, fundierte und nachhaltige finanzielle Entscheidungen zu treffen. 

Auch die politische Bildung könnte durch den Vorschlag profitieren. Viele junge Menschen haben das Gefühl, dass Politik weit weg von ihrem Alltag stattfindet und schwer zu beeinflussen ist. Doch wer direkt mit Politiker*innen in den Austausch tritt und erfährt, wie Entscheidungen getroffen werden, kann besser nachvollziehen, wie die Demokratie aufgebaut ist und funktioniert. Außerdem wird das Vertrauen in die Politik durch den persönlichen Kontakt mit Politiker*innen gestärkt, da sie in den Augen der jungen Bürger*innen dadurch weitaus menschlicher wirken, als wenn man sie nur als Gesicht von Plakaten oder Namen aus Schlagzeilen kennt. Das könnte insgesamt nicht nur das politische Interesse steigern, sondern auch dazu beitragen, dass sich mehr junge Menschen aktiv einbringen – sei es durch Wahlen oder gesellschaftliches Engagement. Für Parteien entstünde so auch eine perfekte Möglichkeit, die junge Wählerschaft direkt anzusprechen und für sich und politische Beteiligung generell zu werben – eine Win-win-Situation.

Mehr lebensnahe Bildung könnte auch dazu beitragen, Populismus zu bekämpfen. Laut einer 2019 erschienenen Studie von Shell sind besonders junge Menschen anfälliger für populistische Argumente. Durch eine bessere praxisorientierte politische Bildung, wären viele gesellschaftliche Zusammenhänge für junge Menschen verständlicher. Sie wären dadurch besser in der Lage, politische Entwicklungen und besonders auch populistische Argumente kritisch zu hinterfragen und sich bewusst eine eigene Meinung zu bilden. Der Einfluss von Populismus auf sie könnte so also erheblich geschmälert werden.

Darüber hinaus würde eine stärkere Berufsorientierung jungen Menschen helfen, fundierte Entscheidungen für ihre Zukunft zu treffen. Theorie allein reicht oft nicht aus, um sich auf das Berufsleben vorzubereiten. Durch die Zusammenarbeit mit Unternehmen könnten Schüler*innen wertvolle Einblicke in wirtschaftliche Zusammenhänge und Arbeitsabläufe erhalten, was ihnen hilft, ein besseres Verständnis für wirtschaftliche Abläufe zu entwickeln.

Fazit – Ein ineffizientes Schulsystem?

Das hessische Schulsystem bereitet uns auf Prüfungen vor, nicht aber auf das Leben. Das ist eine Erfahrung, die die meisten Schüler*innen früher oder später machen müssen. 

Häufig fehlt einfach der direkte Bezug zum Alltag, sodass das Meiste des Gelernten nach der absolvierten Klausur schon wieder vergessen wurde. Statt nachhaltiges Wissen aufzubauen, dreht sich vieles um kurzfristige Leistungserbringung. Das führt dazu, dass der Mehrwert des Gelernten für Schüler*innen nur sehr gering ist und wichtige Themen, mit denen wir in unserem späteren Leben konfrontiert werden, auf der Strecke bleiben.

Die vorgeschlagenen Schritte zur Verbesserung dieses Problems durch mehr lebensnahe Bildung sind im Grunde genommen sehr gut und sinnvoll, sie reichen aber noch lange nicht aus. Es fällt nicht in den Aufgabenbereich kommunaler Organe, die Bildung zu reformieren. Das ist die Aufgabe des Bundes und der einzelnen Länder. Das auf Grund offenbar fehlenden Interesses an wirklich sinnvoller Veränderung große Probleme unseres Bildungssystems nicht effektiv bekämpft und teils vollkommen missachtet werden, ist ein Armutszeugnis der jeweiligen zuständigen Regierungen. Es zeigt mal wieder, wie unwichtig die jungen Wähler heutzutage sind. Denn dank der von anderen Parteien lange geforderten Abschwächung der Schuldenbremse durch Friedrich Merz wäre ja Geld da für Investitionen. Anstatt diese aber sinnvoll in den Ausbau der Infrastruktur, ins Bildungssystem oder beispielsweise den Umbau zur klimafreundlichen Industrie zu stecken, fließt eine potentiell unbegrenzte Summe in die größte Aufrüstung des deutschen Militärs seit der Nachkriegszeit. Als Trostpflaster gibt es nur ein “Sondervermögen” für Investitionen von 500 Mrd. Euro auf eine Laufzeit von 12 Jahren. Mit nur 42 Milliarden im Jahr wird sich hier in Deutschland nichts tun.

Für uns Schüler*innen heißt das, wenn sich die Länder und der Bund nicht an Darmstadt orientieren und zumindest den Willen zeigen, soziale Verantwortung für ihre jungen Bürger*innen übernehmen und für Veränderung zu sorgen, werden wir weiterhin unter dem ineffizienten, in der Digitalisierung völlig hinterherhinkenden und grundsätzlich einfach reformbedürftigen Schul- und Bildungssystem leiden müssen. 

Quellen: 

https://www.bitkom.org/Presse/Presseinformation/6-von-10-Steuererklaerungen-zuletzt-online-abgegeben

https://www.handsons.io/blog/warum-unser-bildungssystem-kollabiert-und-was-wir-dagegen-tun-mssen

https://www.zeit.de/news/2019-10/15/umweltverschmutzung-aengstigt-junge-menschen-am-meisten

https://www.stern.de/politik/populismus--sind-junge-menschen-anfaelliger--victoria-reichelt--34473228.html


Den besprochenen Antrag der Uffbasse-Fraktion findet ihr hier.