Offener Brief zur Wiederöffnung von Schulen und Kindertagesstätten

Volt Thüringen wendet sich mit einem offenen Brief zur Wiedereröffnung von Schulen und Kindertagesstätten an Ministerpräsident Bodo Ramelow, den Minister für Bildung, Jugend und Sport Helmut Holter und die Vorsitzenden der im Thüringer Landtag vertretenen Fraktionen.

28. Apr 2020

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,
sehr geehrter Herr Minister,
sehr geehrte Damen und Herren Vorsitzende,

am 21.04.2020 wurde von der Thüringer Landesregierung ein erster Stufenplan zur Öffnung der Thüringer Schulen beschlossen. Wir begrüßen das Bemühen der Landesregierung, eine schrittweise Normalisierung der Verhältnisse im Bildungsbereich ermöglichen zu wollen. Doch gerade wegen der Dringlichkeit des Zugriffs auf Bildung mahnen wir andere Lösungen an. Es muss gewährleistet werden, dass kein*e Schüler*in in seiner Leistung abgehängt wird und die Eltern keine überbordende Rolle in der Bildung ihrer Kinder übernehmen müssen. Damit werden einerseits die Eltern unterstützt, andererseits wird verhindert, dass die Herkunft der Schüler*innen zu einem noch stärkeren Faktor in seiner/ihrer Bildungsbiographie wird, als sie es ohnehin schon ist. Eltern sind überwiegend keine Lehrkräfte und können die fehlende Präsenz von Lehrer*innen nicht annähernd adäquat ausgleichen. Gleichzeitig dürfen die Lehrkräfte und Erzieher*innen weder einer zu großen Infektionsgefahr noch einer zu großen beruflichen Belastung ausgesetzt werden.

Deshalb fordern wir Folgendes:

In Bezug auf Kindertagesstätten

Eine Ausweitung der Notbetreuung bis zur Wiederöffnung der Kindertagesstätten für alle Kinder, deren Eltern aus beruflichen Gründen eine häusliche Betreuung nicht gewährleisten können und keine Angehörigen haben, welche die Betreuung übernehmen können. Dabei darf keine Einschränkung bezüglich der Berufsgruppen oder des beruflichen Status gemacht werden. Da die personellen Kapazitäten der Erzieher*innen wahrscheinlich nicht ausreichen werden, sollten Studierende des Lehramts und anderer sozialer Studiengänge sowie Erzieher*innen in Ausbildung bei der Betreuung unterstützen dürfen. Erzieher*innen, die sich in einer Risikogruppe befinden, sollten ihrer Arbeit nicht in der Kindertagesstätte gehen. Sie können bei organisatorischen Aufgaben helfen sowie telefonische und internetbasierte Unterstützung für Eltern und häusliche Kinderbetreuer*innen anbieten. Der Fokus sollte weiterhin auf der häuslichen Betreuung liegen, damit die Betreuungskapazitäten von Kindertagesstätten nicht überlastet werden. Alle Eltern, die dafür eine häusliche Kinderbetreuung engagieren müssen, sollen finanzielle Unterstützung erhalten. Träger von Kindertagesstätten sollten bei der Umsetzung der Hygienevorschriften zum Infektionsschutz vom Freistaat Thüringen ebenfalls finanziell unterstützt werden.

In Bezug auf Schulen

Die Schrittweise Schulöffnung berücksichtigt zwar die Priorität der Abschlussklassen, lässt die Situation der Klassenstufe 11 allerdings völlig aus dem Blick. Da dieser ein Großteil des Halbjahres 11/2 und damit ein Teil ihrer Abiturnote fehlt, sollten sie schnellstmöglich wieder Präsenzunterricht bekommen. Bei der Umsetzung der schrittweisen Wiederöffnung der Schulen sollte der Teil des Lernens, der aufgrund des rollierenden Systems weiterhin Zuhause stattfinden muss, in seiner Qualität gesteigert werden. Denn beim Homeschooling haben die Schüler*innen Vorteile, deren Eltern einen hohen Bildungsgrad besitzen. Damit die Herkunft der Schüler*innen diese in ihrer Bildungsbiographie nicht mehr benachteiligt als sie es ohnehin schon macht, sollte der Anteil des Homeschoolings so weit wie möglich minimiert und vom E-Learning abgelöst werden. Gleichzeitig muss eine sehr enge, aber multimediale Betreuung der Schüler*innen vonseiten der Lehrer*innen stattfinden. Da nicht alle Schüler*innen und Lehrer*innen die notwendige technische Ausstattung besitzen, sollten diese finanzielle oder materielle Unterstützung erhalten. Lehrer*innen müssen schnellstmöglich Fortbildungen im Bereich mediengestützte Lehre erhalten. Weiterhin ist erforderlich, dass Eltern bei der Anstellung von Nachhilfelehrer*innen finanziell unterstützt werden und Einkaufsgutscheine zum Erwerb von unterstützender Literatur erhalten. 

In Bezug auf die Schulabschlüsse fordern wir für alle Schularten in diesem Schuljahr Durchschnittsabschlüsse. Reguläre Abschlussprüfungen könnten vor allem im schriftlichen Bereich für unfaire Bedingungen sorgen, weil nicht sichergestellt werden kann, dass aufgrund des verkürzten Schulhalbjahres alle prüfungsrelevanten Themen im Unterricht behandelt werden konnten. Da sogar davon auszugehen ist, dass dies nicht geschehen ist und aufgrund der besonderen Situation an den Schulen in den nächsten Wochen nicht geschehen kann, würde den Schüler*innen möglicherweise zugemutet werden, Prüfungsaufgaben zu Themenbereichen zu lösen, die sie vorher nicht im Unterricht kennengelernt haben. Für alle Schüler*innen der Klassenstufe 11 sollten deswegen verbindliche Prüfungsschwerpunkte festgelegt werden, um eine faire Durchführung des Abiturs 2021 zu ermöglichen.

Die aktuelle Situation stellt alle Akteure des Bildungssystems vor unglaubliche Herausforderungen. Doch auch in einer Krise muss darauf geachtet werden, dass für alle Kinder und Jugendlichen faire Bedingungen herrschen und sie die beste Bildung bekommen, die möglich ist. Dabei müssen Erzieher*innen, Lehrer*innen und Eltern bestmöglich unterstützt werden. Sie bilden und erziehen die Zukunft unseres Landes - auch sie sind systemrelevant.

Mit freundlichen Grüßen

Jonas Mazouz, Sophie Trautmann und Sven Weidner