Ein Tag der Freiheit für alle Europäerinnen und Europäer
Heute, nur eine Fährfahrt von Kiel oder Travemünde nach Klaipėda oder Liepāja entfernt, denke ich an ein Ereignis, das mich tief beeindruckt: den 23. August 1989. Damals, genau 50 Jahre nach dem Hitler-Stalin-Pakt, bildeten zwei Millionen Menschen aus Estland, Lettland und Litauen eine Menschenkette von mehr als 600 Kilometern – quer durch ihre Hauptstädte Tallinn, Riga und Vilnius.

Ich stelle mir vor, wie sie dort standen: Hand in Hand, still und doch unübersehbar. Ohne Smartphones, ohne soziale Medien, unter den Augen der sowjetischen Besatzung – und trotzdem voller Entschlossenheit. Diese Kette, das „Baltische Band“, war ein starkes Signal an die Welt. Zum ersten Mal wurde der Ruf der baltischen Völker nach Freiheit so laut, dass er überall gehört wurde.
Nur wenige Jahre später folgte die Wiedererlangung der Unabhängigkeit, und am 1. Mai 2004 traten Estland, Lettland und Litauen der Europäischen Union bei. Heute kann ich mir ein Europa ohne unsere baltischen Partner nicht mehr vorstellen.
Gleichzeitig zeigt sich: Freiheit ist zerbrechlich. Nichts an ihr ist selbstverständlich. Sie ist kein Geschenk, das uns einmal gegeben wurde und für alle Zeit bleibt. Freiheit muss Tag für Tag verteidigt, geschützt und gelebt werden. Gerade jetzt zeigt sich, dass autoritäre Mächte bereit sind, Grenzen zu verschieben, Völker zu unterdrücken und durch Gewalt das Recht des Stärkeren durchzusetzen. Das aggressive Expansionsstreben Russlands bedroht nicht nur die Sicherheit unserer baltischen Nachbarn, sondern es richtet sich gegen die Grundwerte, auf denen unser gemeinsames Europa ruht: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und das friedliche Miteinander souveräner Nationen.
Deshalb stehen heute deutsche Soldatinnen und Soldaten in Litauen. Sie sind nicht dort, um Distanz zu wahren, sondern um Nähe zu zeigen. Sie sind nicht Fremde in einem fernen Land, sondern Verbündete, Freundinnen und Freunde, die Schulter an Schulter mit den Menschen im Baltikum verdeutlichen: Wir Europäer lassen uns nicht spalten. Ein Angriff auf die Freiheit des einen ist ein Angriff auf uns alle.
Wenn ich an die Mutigen von 1989 denke und an die Solidarität von heute, habe ich einen klaren Wunsch: Der 23. August sollte ein gesamteuropäischer Feiertag sein. Nicht nur ein baltischer Gedenktag, sondern ein Tag für alle Europäerinnen und Europäer. Ein Tag, an dem wir uns die Kraft der Freiheit bewusst machen, den Mut der Menschen im Baltikum würdigen und uns vergegenwärtigen, dass Europas Stärke im Zusammenhalt liegt.
Ein solcher Tag wäre mehr als nur Erinnerung. Er wäre ein lebendiges Versprechen, dass wir die Lehren der Geschichte nicht vergessen und dass wir das, was uns verbindet, über alle Unterschiede hinweg bewahren wollen. Er wäre ein Symbol des unerschütterlichen Glaubens daran, dass wir als Europäerinnen und Europäer nur gemeinsam stark sind – damals wie heute, und auch in Zukunft.
Andreas