Offener Brief der kleinen Parteien: Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Landtagswahl 2021
Wir beantragen, die Zahl der zur Zulassung zur Landtagswahl 2021 benötigten Unterstützungsunterschriften abzusenken sowie den Stichtag für deren Abgabe nach hinten zu verschieben.
Sehr geehrte Frau Ministerpräsidentin Dreyer,
sehr geehrter Herr Landtagspräsident Hering,
sehr geehrter Herr Minister Lewentz,
sehr geehrter Herr Landeswahlleiter Hürter,
sehr geehrter Herr Schweitzer,
sehr geehrter Herr Baldauf,
sehr geehrte Frau Willius-Senzer,
sehr geehrter Herr Dr. Braun,
der starke Anstieg von COVID-19 Infektionsfällen in Rheinland-Pfalz sorgt dafür, dass aktuell (29.10.2020) 23 von 24 Landkreisen sowie 10 von 12 kreisfreien Städten als Risikogebiet eingestuft sind. Das sind mehr als 90% des Landes Rheinland-Pfalz. Dies wirkt sich tiefgreifend auf unser Zusammenleben aus. Die gesundheitliche Lage im Hinblick auf die Pandemie hat sich stark verändert. Auch die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz am 14. März 2021 stellt einen integralen Bestandteil unserer Demokratie dar, auf welche sich die COVID-19-Pandemie bereits jetzt auswirkt.
Die Kommunalwahl in Nordrhein-Westfalen zeigte, wie eine Demokratie in Zeiten einer Pandemie funktionieren kann: Viele Wähler*innen gaben ihre Stimme per Briefwahl ab, die Anzahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften wurde um 40% gesenkt und die Frist für deren Abgabe wurde verlängert. Diese Maßnahmen haben nicht nur eine gleiche und faire Wahl ermöglicht, sondern führten sogar zu einer Steigerung der Wahlbeteiligung im Vergleich zur vorherigen Kommunalwahl.
Wir haben Grund zur Annahme, dass alle Parteien und Gruppierungen, die von der Pflicht der Beibringung von Unterstützungsunterschriften für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz betroffen sind, de facto von der Teilnahme an der bevorstehenden Landtagswahl ausgeschlossen wären. Aus den nachfolgend dargelegten Gründen möchten wir Sie daher bitten, das Landeswahlgesetz Rheinland-Pfalz unter Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen pandemiebedingten Rahmenbedingungen anzupassen und dem Beispiel Nordrhein-Westfalens zu folgen. Die Zahl der benötigten Unterstützungsunterschriften kann abgesenkt sowie der Stichtag für deren Abgabe nach hinten verschoben werden. Hierzu können die Regelungen für eine vorgezogene Neuwahl nach §25 Abs. 3 des LWahlG mit den entsprechenden Implikationen für §35 Abs. 4 Satz 3 und §36 LWahlG als Orientierung herangezogen werden.
Der Landeswahlleiter weist auf seiner Homepage in einem Beitrag zur 10. Corona-Bekämpfungsverordnung darauf hin, angesichts der “begrenzten Neuinfektionen in Rheinland-Pfalz” die Aufstellungsversammlungen für die Landeslisten möglichst zeitnah durchzuführen, da hiermit eine “wesentliche Vorbereitungshandlung für die Landtagswahl erfolgt”. Dies haben die Parteien und Gruppierungen, welche zur Landtagswahl antreten möchten, im Sommer und Herbst 2020 getan.
Des Weiteren heißt es auf der Homepage des Landeswahlleiters: “Wahlvorschlagsträger, die Unterstützungsunterschriften benötigen, können diese nach der Aufstellung sammeln”. Für nicht im Landtag oder im Bundestag vertretene Parteien stellt das Sammeln von Unterstützungsunterschriften für die Zulassung zur Wahl also eine weitere wesentliche Vorbereitungshandlung für die Teilnahme an der Landtagswahl dar. Da die Wahl am 14. März 2021 stattfinden wird, müssen diese Unterschriften bis zum 29. Dezember um 18.00 Uhr bei den zuständigen Wahlleitungen eingereicht werden.
Am 12. Oktober 2020 postete Ministerpräsidentin Malu Dreyer folgendes Statement auf ihrer Facebook-Fanpage:
Die Corona-Infektionszahlen steigen stark an - auch in Rheinland-Pfalz. Die Lage ist ernst. Ernster, als diejenigen glauben, die sich nicht an die Schutzmaßnahmen halten. In mehreren Regionen wie Mainz oder Neuwied gehen die Zahlen in die Höhe. Wir müssen alles Mögliche tun, um eine weitere Verbreitung des Virus zu verhindern!
Ich bin mir sicher, keiner und keine will der Auslöser für Ansteckungen seiner Freunde, Eltern, Großeltern, Mitschülerinnen und –schüler oder Kollegen sein. Aber allen muss klar sein: Das Coronavirus lebt davon, dass es sich von Mensch zu Mensch verbreitet. Nur wenn wir unsere Kontakte reduzieren und die AHA-Regeln befolgen, können wir das Virus aushungern‘.
Leider sind die aktuellen Infektionszahlen in Rheinland-Pfalz nicht mehr mit denen im Sommer vergleichbar und wir stehen vor einer zweiten, noch heftigeren Welle der COVID-19-Pandemie. Die Infektionszahlen in ganz Rheinland-Pfalz erreichen nie dagewesene Rekordwerte und ein Großteil des Bundeslandes ist als Risikogebiet eingestuft. Weitere Regionen in Rheinland-Pfalz stehen zudem kurz davor, zum Risikogebiet erklärt zu werden und müssen vorkehrende Maßnahmen treffen. In diesen Regionen werden neue Kontaktbeschränkungen eingeführt und weitere Maßnahmen getroffen, welche sich auf das Sammeln von Unterstützungsunterschriften auswirken. Die gesundheitliche Lage im Hinblick auf die Pandemie hat sich somit grundlegend geändert und dramatisch verschärft.
Gerne möchten wir dazu beitragen, die Verbreitung des Coronavirus unter Kontrolle zu bringen. Niemand von uns möchte Verwandte, Freunde, Bekannte oder auch unbekannte Menschen beim Sammeln von Unterschriften in Gefahr bringen. Auch bei Einhaltung der Schutzmaßnahmen stellt weiterhin jede zusätzliche Begegnung ein Risiko für eine Übertragung und/oder Ansteckung mit dem Coronavirus dar. Für die Wahlzulassung einer Landesliste werden mindestens 2.080 gültige Unterstützungsunterschriften benötigt. Reichen die Parteien zudem neben einer Landesliste flächendeckende Wahlvorschläge mit Direktkandidat*innen ein, müssen insgesamt 8.850 unterzeichnete Formulare gesammelt werden. Zusammengerechnet für alle kleinen Parteien ergeben sich bei der Sammlung von Unterstützungsunterschriften Kontakte im hohen fünfstelligen, eventuell sogar im sechsstelligen Bereich. Jeder der Kontakte stellt in der aktuellen Situation ein potentielles Risiko für eine Übertragung des Coronavirus und einer Intensivierung der zweiten Welle dar.
Um also Bestandteil der rheinland-pfälzischen Demokratie zu sein und auf dem Wahlzettel zu stehen, müssen wir in Anbetracht der aktuellen und zukünftigen Situation Gesundheitsgefahren auf uns nehmen und stellen zusätzlich ein Risiko für unsere Familien, Freunde und Unterstützer*innen dar, während gleichzeitig die Landesregierung die Bevölkerung dazu aufruft, die sozialen Kontakte auf das nötigste Maß zu reduzieren und Kontakte zu beschränken.
Weiterhin sind wir der Überzeugung, dass die verbleibende Zeitspanne bis zum 75. Tag vor dem Wahltermin nach §36 LWahlG, der 29. Dezember 2020 um 18.00 Uhr, bereits jetzt absehbar nicht reicht, um die notwendigen Unterstützungsunterschriften nach §§ 35 Abs. 4 Satz 3 und 4, 34 Abs. 4 Satz 3 und 4 LWahlG, zu sammeln und zu erbringen. Es zeichnet sich derzeit ab, dass sich die für die Eindämmung der COVID-19-Pandemie erforderlichen kontaktreduzierenden Maßnahmen in den kommen Wochen landesweit intensivieren werden, Die Menschen müssen ihre sozialen Kontakte reduzieren und es werden womöglich weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens folgen. Auch die Entwicklung in anderen (Bundes-)Ländern, insbesondere in Berlin, Frankreich oder Spanien lässt eine Intensivierung dieser Maßnahmen und eine Verstärkung einer zweiten Infektionswelle als überaus wahrscheinlich erscheinen.
Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund der derzeitigen Situation und der besorgten Atmosphäre in der Bevölkerung, die zu erhöhten faktischen Hürden für das Sammeln der Unterschriften führt. Das Bereitstellen der entsprechenden Formulare im Internet macht hierbei keinen nennenswerten Unterschied, da auf diesen Umstand wiederum in der Öffentlichkeit hingewiesen werden müsste.
Wir befürchten, dass aufgrund der veränderten gesundheitlichen Lage durch die Corona-Pandemie deshalb alle Parteien und Gruppierungen, die von der Pflicht der Beibringung von Unterstützungsunterschriften betroffen sind, nicht an der Landtagswahl 2021 teilnehmen können. Dies wäre ein massiver und unverhältnismäßiger Eingriff in Wahlrechtsgrundsätze.
In einem Antwortschreiben des Landtages Rheinland-Pfalz auf eine Legislativeingabe an den Petitionsausschuss von der Piratenpartei Rheinland-Pfalz vom 31. August 2020 (P3 – LE 13/20) traf das fachlich zuständige Ministerium des Innern und für Sport in einer Stellungnahme folgende Aussage:
Sofern sich die gesundheitliche Lage durch die Corona-Pandemie verändert, wird die Landesregierung bei entsprechendem Bedarf rechtzeitig mögliche und erforderliche Maßnahmen veranlassen, um den Wahlvorschlagsträgern die Einreichung von Wahlvorschlägen für die nächste Landtagswahl zu ermöglichen. In einer solchen Situation wird sie auch prüfen, ob und inwieweit eine Änderung des Landeswahlgesetzes in Betracht kommt, um unter bestimmten Voraussetzungen die erforderliche Anzahl von Unterstützungsunterschriften abzuschaffen oder zu senken.
Der Petitionsausschuss des Landtages schließt sich dem an:
Der Petitionsausschuss hat unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Ministeriums beschlossen, die Eingabe zunächst zurückzustellen und die Situation weiter zu beobachten, um bei ggf. noch entstehendem Bedarf eine etwaige Anpassung des Landeswahlgesetztes an eine veränderte gesundheitliche Lage durch die Corona-Pandemie prüfen zu können.
Die gesundheitliche Lage durch die Corona-Pandemie hat sich leider dramatisch verändert und trifft im Hinblick auf die Landtagswahl insbesondere die kleinen Parteien. Die Landesregierung und der Landtag müssen diese neue Lage nun berücksichtigen.
In einem Beschluss des Verfassungsgerichtshofes Nordrhein-Westfalen (VerfGH 88/20) zur Beibringung von Unterstützungsunterschriften für die Kommunalwahlen 2020 wird überdies folgende Aussage getroffen, welche auch für die Landtagswahl in Rheinland-Pfalz von Relevanz ist:
Es spricht viel dafür, dass angesichts der besonderen tatsächlichen und rechtlichen pandemiebedingten Rahmenbedingungen, unter denen die diesjährigen Kommunalwahlen einschließlich der Wahlvorbereitung stattfinden, eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Überprüfung und Anpassung des Wahlgesetzes in Bezug auf die bestehenden Regelungen zur Beibringung von Unterstützungsunterschriften im Kommunalwahlgesetz NRW ausgelöst haben. (S. 25)
Im Sinne des Voranstehenden bitten wir Sie, die Anzahl der erforderlichen Unterstützungsunterschriften zu senken sowie den Stichtag für deren Einreichung zu verschieben und das Landeswahlgesetz entsprechend der tatsächlichen und rechtlichen pandemiebedingten Rahmenbedingungen anzupassen. Hierzu können beispielsweise die Regelungen für eine vorgezogene Neuwahl nach §25 Abs. 3 des LWahlG mit den entsprechenden Implikationen für §35 Abs. 4 Satz 3 und §36 LWahlG als Orientierung herangezogen werden. Allein so kann den nicht bereits dem Landtag von Rheinland-Pfalz oder dem Deutschen Bundestag angehörenden Parteien und Wählergruppen die faire Teilnahme an der rheinland-pfälzischen Landtagswahl im März 2021 ermöglicht werden.
Sollte die Landesregierung und der Landtag untätig bleiben behalten wir uns vor, rechtliche Schritte zu ergreifen. Ein mögliches gerichtliches Vorgehen wird derzeit geprüft. Hierzu stehen wir im Austausch mit den betroffenen Parteien.
Mit freundlichen Grüßen
Alexandra Barsuhn - Ko-Vorsitzende Volt Rheinland-Pfalz
Ron-David Röder - Ko-Vorsitzender Volt Rheinland-Pfalz
Nico De Zorzi - Stellvertretender Vorsitzender Die PARTEI Rheinland-Pfalz
Marie Salm - Vorsitzende Piratenpartei Rheinland-Pfalz